Information des Vereins Frauen-Rechtsschutz über die Gutachten des Komitees für die Beseitigung der Diskriminierung der Frau vom 6. August 2007 zu den Communications (“Mitteilungen”) 5/2005 und 6/2005
Die „Mitteilungen“ wurden dem Komitee vom VereinFrauen–Rechtsschutz („Association for Women’s Access to Justice“) und der Wiener Interventionsstelle gegen Gewalt in der Familie („Vienna Intervention Centre against Domestic Violence“) am 21. Juni 2004 übermittelt.
Rechtlicher Hintergrund:
Vereinte Nationen („United Nations – UN“) UN-Konvention zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau (Convention on the Elimination of All Forms of Discrimination Against Women – CEDAW; BGBl. 443/1982)
Fakultativprotokoll zur UN-Konvention zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau (Optional Protocol to the Convention on the Elimination of All Forms of Discrimination against Women; BGBl. III 206/2000)
Die UN-Konvention zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau wurde von der Generalversammlung der Vereinten Nationen im Jahr 1979 verabschiedet und ist in Österreich seit 1982 in Kraft; die maßgeblichen Artikel 1 – 4 der Konvention wurden im Verfassungsrang ratifiziert.
Die Einhaltung der in dieser Frauenrechtskonvention enthaltenen Rechte der Frauen und die Erfüllung der Verpflichtungen der Vertragsstaaten wird vom UN-Frauenrechtskomitee überwacht und überprüft.
Im Jahr 1999 verabschiedete die Generalversammlung der Vereinten Nationen ein „Fakultativprotokoll“ zur Frauenrechtskonvention, das es nunmehr auch Einzelpersonen und Organisationen ermöglicht, Fälle von Frauenrechtsverletzungen dem Frauenrechtskomitee der Vereinten Nationen mitzuteilen. Dieses Protokoll wurde von Österreich im Jahr 2000 ratifiziert.
Beschwerden an das UN-Frauenrechtskomitee:
Überblick:
Im Jahr 2004 brachten zwei NGOs aus Österreich, nämlich der Verein Frauen-Rechtsschutz („Association for Women’s Access to Justice”) und die Wiener Interventionsstelle gegen Gewalt in der Familie (“Vienna Intervention Centre against Domestic Violence“), Mitteilungen beim UN-Frauenrechtskomitee hinsichtlich von in den Jahren Jahr 2002 und 2003 an zwei Frauen durch deren jeweiligen Ehemann verübten Morde ein.
Den Morden ging jeweils eine Abfolge von Gewalttaten und Morddrohungen voraus, die bei den Polizei- und Justizbehörden angezeigt wurden.
Gegen beide Täter wurden jeweils so genannte polizeiliche und zivilgerichtliche „Wegweisungen“ verfügt, mit welchen den Tätern das Betreten der Ehewohnung und der unmittelbaren Umgebung des Opfers unter Androhung von polizeilichem Zwang verboten wurde. Diese zivilrechtlichen Maßnahmen reichten jedoch nicht aus, um die Gewaltopfer effektiv zu schützen, weil sich die Täter nicht an die Verbote hielten.
Die parallel dazu eingeleiteten strafgerichtlichen Verfahren wurden aber nicht mit der gebotenen Konsequenz durchgeführt, insbesondere wurden die Täter trotz Vorliegens der gesetzlichen Voraussetzungen nicht in
Untersuchungshaft genommen.
Sachverhalte:
1. Im Fall der am 7. Dezember 2002 ermordeten Frau „A“ (Communication No. 5/2005) wurden die ersten Gewaltakte des Täters bei der Polizei im Dezember 1999 angezeigt. Die Polizei stellte Körperverletzungen beim Gewaltopfer fest und verhängte eine polizeiliche Wegweisung. Das darauf folgende Strafverfahren stellte die Staatsanwaltschaft jedoch wegen Geringfügigkeit ein.
Im August 2000 wurde nach weiteren Körperverletzungen nochmals eine polizeiliche Wegweisung verhängt und regte die Polizei erstmals die Verhängung der Untersuchungshaft bei der Staatsanwaltschaft an, die die Verhängung der Haft aber nicht in die Wege leitete.
Zwischen Dezember 2001 und September 2002 rief das Gewaltopfer die Polizei mehrfach wegen Streitigkeiten und gewalttätiger Übergriffe zu Hilfe.
Eine dritte polizeiliche Wegweisung wurde am 8. Oktober 2002 gegen den Täter wegen Körperverletzung und Morddrohungen verhängt.
Am 23. Oktober 2002 erließ das zuständige Bezirksgericht eine (zivilgerichtliche) Einstweilige Verfügung, mit welcher dem Täter die Rückkehr in die Ehewohnung und deren unmittelbaren Umgebung verboten wurde. Das Amt für Jugend und Familie, welches einschritt, weil die Gewalttaten auch vor den drei minderjährigen Kindern des Paares verübt worden waren, meldete der Polizei, dass der Täter trotz der aufrechten Wegweisung wiederholt in die Wohnung zurückgekehrt war.
Das wegen der oben erwähnten Körperverletzung und der Morddrohungen vom 8. Oktober 2002 eingeleitete Strafverfahren wurde am 5. Dezember 2002, also zwei Tage vor der Ermordung der Frau, von der Staatsanwaltschaft eingestellt.
In der Nacht zum 7. Dezember 2002, einige Stunden vor ihrer Ermordung, erstattete Frau „A“ einen Notruf bei der Polizei, weil der Täter sie wieder aufgesucht und mit dem Umbringen bedroht hatte. Die Polizei reagierte darauf nicht und veranlasste insbesondere auch keinen Polizeieinsatz; dies angeblich deshalb, weil der Täter die Ehewohnung während des Notrufes bereits verlassen hätte. Zu diesem Zeitpunkt hatte die Notrufzentrale der Bundespolizeidirektion Wien keine Kenntnis darüber, dass gegen den Täter ein Betretungsverbot aufrecht war.
Im Laufe des 7. Dezember 2002 wurde Frau „A“ von ihrem Ehemann in der Ehewohnung mit einer Faustfeuerwaffe erschossen. Der damals 13-jährige Sohn des Paares fand seine sterbende Mutter.
Andere Familienmitglieder berichteten später, sie hätten sich davor mehrfach an die Polizei gewandt, weil der Täter auch ihnen gegenüber mit der Ermordung der Frau und anderer Familienmitglieder gedroht und trotz aufrechten Waffenverbotes gegen ihn eine Faustfeuerwaffe besessen hätte. Diese Anzeigen wurden von der Polizei allerdings nicht zu Protokoll genommen.
Der Täter wurde danach vom Straflandesgericht Wien aufgrund seines Geisteszustandes in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher überwiesen.
2. Im Fall der am 11. September 2003 ermordeten Frau „B“ (Communication No 6/2005) zeigte das spätere Mordopfer im Juli und August 2003 den Täter mehrfach wegen Körperverletzung und Morddrohungen bei der Polizei an. Die Polizei leitete zwei Mal Anzeigen an die Staatsanwaltschaft weiter und regte die Verhängung der Haft gegen den Täter an. Die Staatanwaltschaft lehnte es aber jeweils ab, die Untersuchungshaft beim Untersuchungsrichter zu beantragen.
Das Opfer zeigte weitere Male Morddrohungen bei der Polizei an, die jedoch der Staatsanwaltschaft nicht weiterberichtet wurden.
Am 1. September 2003 erließ das zuständige Bezirksgericht über Antrag des Opfers eine zivilgerichtliche Wegweisung gegen den Täter, die ihm die Rückkehr in die Ehewohnung, deren Umgebung, die Anwesenheit beim Arbeitsplatz des Opfers die Kontaktaufnahme mit dem Opfer und deren Tochter verbot.
Am 11. September 2003 erstach der Täter die Frau in unmittelbarer Nähe ihrer Wohnung mit einem Messer.
Der Täter wurde danach vom Straflandesgericht Wien zu einer lebenslänglichen Freiheitsstrafe verurteilt.
Die NGO-Mitteilungen bemängeln folgende Lücken im Rechtsschutzsystem:
- Mangelnder Schutz der Menschenrechte von Frauen, insbesondere der Rechte auf Leben und persönliche Integrität;
- mangelnde Sorgfalt und Ernsthaftigkeit der Polizei- und Justizbehörden – vor allem der Organe der Staatsanwaltschaft – bei der Untersuchung und Verfolgung von Gewalttaten an Frauen;
- Untätigkeit der Staatsanwaltschaft, insbesondere Unterlassen des Antrages auf Verhängung der Untersuchungshaft gegen die Täter beim Untersuchungsrichter trotz Vorliegens der gesetzlichen Voraussetzungen;
- fehlende oder unzulängliche Einschätzung des Gefährlichkeitspotentials der Täter;
- mangelnde Kommunikation und Koordination zwischen Polizei und Justizbehörden;
- Fehlen einer institutionalisierten Kommunikation zwischen Zivilgerichten und Staatsanwaltschaften über verhängte Wegweisungen;
- Verharmlosung von Gewalt in der Familie als innerfamiliäres Problem;
- Verharmlosung von gefährlichen Drohungen als „milieubedingte Unmutsäußerungen“ ;
- Negierung der Gefahren, der Frauen in Gewaltbeziehungen ausgesetzt sind.
Gutachten des UN-Frauenrechtskomitees über die Beschwerden:
Das Komitee anerkennt, dass Österreich ein umfassendes Modell zur Bekämpfung von Gewalt in der Familie bestehend aus Gesetzen, straf- und zivilrechtlichen Rechtsbehelfen, Installierung von Gewaltschutzeinrichtungen etc. eingerichtet hat.
Allerdings betont das Komitee, dass es zur faktischen Gleichstellung von Frauen und Männern und zur Durchsetzung der Grund- und Menschenrechte von Frauen erforderlich ist, den durch die gesetzlichen und strukturellen Maßnahmen zum Ausdruck kommenden politischen Willen auch in die Praxis umzusetzen dies durch die einzelnen staatlichen Organe, die die Schutzverpflichtungen des Staates zu realisieren haben.
1. Im Fall von Frau „A“ vertritt das Komitee aufgrund einer Kombination von Faktoren,
nämlich
- der langjährigen, den Behörden bekannten Gewaltgeschichte,
- der gehäuften Frequenz von Polizeieinsätzen bei Streitereien und Gewaltübergriffen,
- der drei polizeilichen Wegweisungen,
- der zweimaligen Anregung der Polizei bei der Staatsanwaltschaft, den Täter zu inhaftieren,
- der im Zeitpunkt der Ermordung aufrechten zivilgerichtlichen Wegweisung des Täters und dem Verbot der Kontaktaufnahme mit dem Opfer,
- der Tatsache, dass die Polizei in Kenntnis war, dass der Täter eine Faustfeuerwaffe besaß sowie
- des unwidersprochenen Umstands, dass in der Nacht zum Mordtag ein Notruf des Opfers bei der Polizei einlangte, aufgrund dessen die Polizei aber nicht einschritt,
die Auffassung, dass
- die Polizei wusste oder hätte wissen müssen, das die Frau in ernster Gefahr war,
- der letzte Notruf vor allem deshalb hätte ernst genommen werden müssen, weil sich der Täter bereits davor als gefährlich und gewalttätig gezeigt hatte.
Das Komitee kommt daher zur Auffassung, dass die Polizeibehörden für die mangelnde Sorgfalt beim Schutz von Frau „A“ verantwortlich sind.
Das Komitee spricht zudem unmissverständlich aus, dass die Rechte eines Täters auf Freiheit und ein faires Verfahren nicht über den Menschenrechten von Frauen auf Leben und persönliche Integrität stehen können.
Das Komitee kommt daher zur Auffassung, dass die Staatsanwaltschaft den Täter hätte in Haft zu bringen gehabt.
Das Komitee kommt daher zum Schluss, dass die Republik Österreich seiner Verpflichtung zum Schutz von Frau „A“ nicht nachgekommen war.
2. Im Fall von Frau „B“ stellt das Komitee fest, dass
der Täter unbestritten
- fortlaufend Anstrengungen unternahm, sein Opfer zu kontaktieren,
- es am Telefon und persönlich mit dem Umbringen bedrohte,
- dies obwohl er von der Ehewohnung und vom Arbeitsplatz der Frau weggewiesen und ihm die Kontaktaufnahme mit ihr verboten worden war,
- und es einige Polizeieinsätze gegeben hatte.
Das Komitee stellt auch fest, dass das Opfer
- aktiv und entschieden Anstrengungen unternommen hatte, sich von ihrem gewalttätigen Partner zu trennen und mit ihrer minderjährigen Tochter aus der Ehewohnung ausgezogen war,
- ständigen Kontakt mit der Polizei und die Staatsanwaltschaft aufgenommen hatte, sowie, dass
- sie Gerichtsverfahren anstrebte und ihre volle Zustimmung für die strafrechtliche Verfolgung des Täters erteilte.
Das Komitee kommt daher zur Auffassung, dass diese Tatsachen eine für das Gewaltopfer extrem gefährlich Situation dokumentieren, welche die österreichischen Behörden kannten oder hätten kennen müssen.
Das Komitee kommt daher zur Auffassung, dass die Staatsanwaltschaft den Täter hätte in Haft zu bringen gehabt.
Das Komitee stellt fest, dass der Täter im Falle der vom Opfer angestrebten Scheidung viel zu verlieren gehabt hätte (zB war seine Aufenthaltsgenehmigung in Österreich vom Weiterbestand der Ehe abhängig), und dass ein solcher Umstand die Gefährlichkeit des Täters beeinflussen kann.
Empfehlungen des UN-Frauenrechtskomitees an Österreich:
Das Komitee empfiehlt daher:
- die Verstärkung der Durchsetzung und Überwachung des Gewaltschutzgesetzes und des Strafrechtes durch sorgfältige Handhabung des Gesetzes und Sanktionen bei Unterlassung;
- die prompte und rasche Verfolgung von Gewalttätern, um potentiellen Tätern und der Öffentlichkeit zu vermitteln, dass die Gesellschaft Gewalt in der Familie verurteilt;
- die Sicherstellung, dass straf- und zivilrechtliche Rechtsbehelfe bei Gefahr von Gewalt auch tatsächlich angewandt werden;
- die Sicherheit von Frauen bei allen Handlungen mit zu berücksichtigen;
- die Klarstellung, dass die Rechte von Tätern nicht über den Menschenrechten von Frauen auf Leben und physischer und psychischer Integrität stehen;
- die Verbesserung der Koordination zwischen Polizei und Justizbehörden;
- die Sicherstellung, dass alle Ebenen des Strafjustizsystems (Polizei, Staatsanwaltschaft, RichterInnen) regelmäßig mit Frauen- und Gewaltschutzeinrichtungen kooperieren;
- die Verbesserung der Aus- und Weiterbildung von RichterInnen, JuristInnen und Strafverfolgungsorganen hinsichtlich Gewalt in der Familie, einschließlich der Frauenrechtskonvention, der Generellen Empfehlung zum Gewaltschutz und dem Fakultativprotokoll.
Aufgrund der Frauenrechtskonvention und des Fakultativprotokolls wurde Österreich verpflichtet,
- innerhalb von sechs Monaten einen schriftlichen Bericht über jegliche Maßnahmen, die im Lichte der Empfehlungen des Komitees ergriffen wurden, zu übermitteln sowie
- die Gutachten des Komitees über die Beschwerden in die deutsche Sprache zu übersetzen und breit zu veröffentlichen.
Ergänzende Informationen:
Die Kinder der ermordeten Frauen erhoben Amtshaftungsklagen gegen die Republik Österreich, mit welchen Schadenersatzansprüche geltend gemacht wurden.
Im Falle der nach Frau „B“ hinterbliebenen minderjährigen Kindes wurde die Amtshaftungsklage im Instanzenzug vom Obersten Gerichtshof abgewiesen (Urteil rechtskräftig).
In beiden Fällen wurde der Amtshaftungsanspruch vom Obersten Gerichtshof (OGH) rechtskräftig abgelehnt..
Nicht amtliche Übersetzung und Stellungnahme der Republik Österreich:
CEDAW-Fakultativprotokoll, Mitteilung Nr.5 /2005
CEDAW-Fakultativprotokoll, Mitteilung Nr.6 /2005
Stellungnahme der Republik Österreich zu CEDAW- Mitteilungen 5/2005 und 6/2005